In Filmen aus den fünfziger Jahren geriet oft ein junger Soldaten in Schwierigkeiten, ein Wiener Wäschermädel knickste deshalb vor dem Kaiser, der natürlich Gnade zeigte, der Radetzkymarsche ertönte und der fesche Soldat durfte am Kaiser vorbeimarschieren.
In einem Tweet hat die Politikerin Eva Blimlinger gegen die Aufführung des Radetzkymarsches protestiert, weil er einen militärischen Sieg feiert und kurz nach der sogenannten „Praterschlacht“ – demonstrierende Arbeiterinnen und Arbeiter wurden zusammengeschossen – zum ersten Mal gespielt wurde.
Dieses Musikstück entstand also nicht aus guter Laune heraus, sondern wurde letztlich geschrieben, um die Niederschlagung der Revolution von 1848 zu würdigen. Dank Radetzky der noch unter Joseph II gedient hatte konnte der junge Kaiser Franz Joseph I revolutionäre Ideen beiseite fegen und absolutistisch herrschen.
Aber Franz Joseph verlor Kriege in Serie, konnte nicht mehr ganz so absolut regieren und die „gute alte Zeit“ nahm ihren Anfang“. Der verlorenen Schlacht von Solferino verdankt Österreich auch einen weiteren „Radetzkymarsch“: den Roman von Joseph Roth in dem zu Beginn ein Offizier dem leichtsinnigen jungen Kaiser das Leben rettet.
Der Radetzkymarsch ist für Roth mehr als nur ein Musikstück, er ist der Soundtrack der untergegangenen Monarchie die aber für Nostalgiker und den Tourismus weiterlebt. Nicht zuletzt deshalb schließt das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker mit diesem Stück ab.
So ehrfürchtig man im Musikvereinsaal sonst das Publikum durch Krawatten und Festtagsgewand gebändigt schweigend das Konzert absitzt, beim Radetzkymarsch wird mitgeklatscht. Auch diese Klatschen stört Eva Blimlinger, wegen der historischen Zusammenhänge.
Laut der „Kleinen Zeitung“ waren auch Dirigenten wie Carlos Kleiber und Franz Welser-Möst nicht sehr angetan von dieser Beteiligung des Publikums (Walter Hämmerle Kleine Zeitung 01.01.2024)
Ist Marschmusik gefährlich? Macht sie Leute zu willenlos, marschierenden Automaten? Albert Einstein meinte dazu:
„Wenn einer mit Vergnügen zu einer Musik in Reih und Glied marschieren kann, dann hat er sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon völlig genügen würde.“
- https://gutezitate.com/zitat/204517
Das Gehirn sagt angesichts einer Schlacht: Nur schnell weg. Das Rückenmark reicht zum Marschieren, und damit das im richtigen Tempo geschieht, möglichst auf den Feind zu und das geht gut zu rhythmischer Musik. Es soll die Musik der Janitscharen gewesen sein, welche die Militärmusik inspirierte.
Türkische Fußballfans spielen noch heute bei Matches Mehter- Musik – „Janitscharenmusik“ ab. Die Fans wollen in Stimmung sein als Schlachtenbummler, doch früher bewegten sich große Gruppen im Takt auf Schlachtfeldern auf einander zu. Totalitäre Systeme haben das genutzt: Ein wenig bekannter K.u.K. Regimentsmarsch wurde mit einem holprigen Text versehen und schon hatten die Nazis Ihr berüchtigtes Horst Wessel Lied.
Als in „Star Wars: The Empire Strikes Back“ das Böse so richtig bedrohlich klingen sollte, komponierte John Williams „The Imperial March“ (auch Thema von Darth Vader bezeichnet). Kein Wunder, dass Marschmusik nach dem 2 Weltkrieg in Österreich und Deutschland misstrauisch betrachtet wurde und einzelne Märsche sogar verboten wurden.
Der Radetzkymarsch hingegen hat seine Wurzeln in den Augen der meisten hinter sich gelassen. Seine aufputschende Wirkung beschränkt sich auf das Mitklatschen des sonst so braven Publikums. Wenn man an das Missfallen einiger Dirigenten (denn Dirigentinnen gab es bisher noch nie) denkt ist das fast schon eine anarchische, eine rebellische Geste.
In der Kleinen Zeitung vom 01.01.2024 wird der Historiker Helmut Konrad zitiert: „Ich denke, der Radetzky-Marsch‘ ist mittlerweile Kulturgut und hat nichts mehr mit Italien zu tun. Ich wundere mich zwar immer, dass auch Italienerinnen und Italiener beim Konzert freudig mitklatschen, aber es ist die Schneekugel unter Stücken: Einmal im Jahr will sie geschüttelt werden."
Wie denken Sie über diese Frage? Braucht der Radetzkymarsch einen Disclaimer?